Der 7. Deutsche Mediationstag 2015 stand unter dem Motto „Kommunikation im Konflikt“. Das SIM war dort erstmals mit einem eigenen Stand und eigenen Werbemitteln vertreten. Der Veranstalter hatte uns einen günstigen Platz kurz vor dem Eingang in den Hauptveranstaltungsraum überlassen. Noch vor Beginn konnte ich dort eine ganze Reihe von VerbandskollegInnen begrüßen – ein gutes Gefühl, das SIM dort so stark vertreten zu sehen!
Nach Grußworten des Veranstalters und des Thüringischen Justizministers Lauinger, der sich erfreulich kurz fasste, trug der Psychologe Wolfgang Frindte/Jena zum Kommunikationsalltag vor: „Ich kommuniziere also bin ich.“. Der Vortrag bot einen unterhaltsamen Parforce-Ritt durch die Höhen und Tiefen alltäglicher Kommunikation. Frindte beleuchtete verschiedene Effekte aus Psychologie und Soziologie innerhalb von Kommunikation, wie den Halo-Effekt, den Nimbus-Effekt, den Chamäleon-Effekt, die Salienz oder den „Linguistic Intergroup Bias“.
Elisabeth Kals, Psychologin an der Katholischen Universität Eichstätt/Ingolstadt, behandelte das Thema „Mediationspraxis der Verständigung“. Dabei bediente sie sich durchgängig der bekannten Eisberg-Metapher. Kals wies auf die Bedeutung des eigenen Menschenbildes für MediatorInnen hin. Sie zeigte die Bedeutung subjektiver Wahrheiten und unbewusster Assoziationen auf. Kals betonte die Bedeutung des gesamten Methodenspektrums für das „psychologische Herzstück“ der Mediation, für die Phasen 2 und 3 (im 5-Phasen-Modell). Sie forderte die Zuhörenden auf, in Alternativen zu denken zu handeln. Viele Konflikte seien als (Un-)Gerechtigkeitskonflikte analysierbar. Dabei sei die Empörung der Konfliktparteien ein Leitindikator. Mediation bedeute die Bearbeitung des Ungerechtigkeitserlebens, eines „psychologischen Tiefengeschehens“. Kooperatives Engagement in Konflikten sei immer auf Gerechtigkeitsempfinden zurückzuführen, eine eher „harte Verhandlungsführung“ fuße auf einer Mischung aus Gerechtigkeitsempfinden und Eigeninteressen. Wissenschaftlich bewiesen sei, dass Aufklärung und Information hülfen. MediatorInnen müssten „sich selbst auf die Schliche kommen“. Kals empfahl das Führen eines (eigenen) Konflikttagebuchs. Darin sollen die äußeren Rahmenbedingungen, aber auch der „Eisberg unter der Oberfläche“ beschrieben werden, die eigenen Gedanken und Gefühle. Ihr Fazit: Reflexion ist für MediatorInnen unverzichtbar.
Den Tag schloss Arist von Schlippe, Psychologe, Psychotherapeut und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke auf hochspannende Weise: Er entführte die Anwesenden auf eine Reise nach „Dämonistan“. Tief im Landesinneren befände sich „Fundamentalien“, wo sich Pegida und IS träfen. Die Reise dorthin beginne, sobald das Gegenüber als „dumm, krank, böse“ bezeichnet werde. Das wiederum mache das Gegenüber immer mehr zu dem, wofür es gehalten werde. Von Schlippe schlug dabei einen Bogen zu dem Vortrag von Frindte und den dort aufgezeigten Effekten. Konfliktparteien empfänden Hilfslosigkeit angesichts der damit erlebten Ungerechtigkeit. Je stärker das Ungerechtigkeitsempfinden sei, desto größer sei die Empörung (wie bei Kals). JedeR führe ein eigenes „Gerechtigkeitskonto“. Die intensiven Gefühle in dieser Phase und Tiefe eines Konflikts ließen „automatisch Gedanken (‚dangerous ideas‘)“ aufkommen, nämlich das Denken in Totalitäten wie Macht/Ohnmacht, Kontrolle oder Hilflosigkeit, Verschwörung und Heimlichkeit, die „Notwendigkeit der sofortigen Vergeltung“, allesamt polarisierende Perspektiven. Dies führe zu „fundamentalen Wahrnehmungsfehlern“ („ich gut, du böse“), zum „feindseligen Wahrnehmungsfehler: einmal böse, immer böse“, der
tendenziell eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ sei, der „viel zitierte ‚blinde Fleck‘“. Schlippe beschrieb den Konflikt als „Parasit“, der sich von den Kommunikationsstrukturen ernähre. Er führe im Ergebnis zu einer Verringerung der Freiheitsgrade der Beteiligten. Die Kultur des täglichen Umgangs erodiere. Der „Latenzschutz“ werde vom parasitären Konflikt „aufgefressen“. Schlippe stellte ausführlich fünf „Rückfahrkarten“ als Schutzmechanismen dar: Zunächst böte „Bewusstheit“ einen Schutz, die Fähigkeit, sich selbst zu beobachten, über sich und die Parteien in der dritten Personen zu sprechen. Es müsse erforscht werden, woher die Gerechtigkeitsprämissen des Einzelnen stammen. Alsdann wäre „Entschleunigung“ ein Ausweg. Auseinandersetzungen sollten aufgeschoben werden, freundlich unterbrochen. Das „kalte Eisen“ müsse „geschmiedet“ werden. Zum Dritten sei „Unvorhersehbarkeit“ (oder auch der „Schmetterlingseffekt“) ein probates Mittel, das einen Ausweg zeige. „Wenn etwas nicht funktioniert, dann mach etwas anderes.“. Womit könne das Gegenüber überrascht werden? Die vierte Möglichkeit stecke in „freundlichen Gesten“. Sie brächen das Eis, sobald sie ohne Vorbedingung gegeben werden. Das Wort „teilweise“ eröffne „neue Räume“, anders als die Worte „entweder“ und „oder“. Zuletzt könnte die „Unterstellung einer guten Absicht“ die Rückfahrkarte bergen. Man könne so daran arbeiten, die Gegenseite zu dämonisieren. Diese „Fahrtkarte“ sei zudem eine besonders kostengünstige: „nichts ist so billig wie Vertrauen“.
Die gelungene Abendveranstaltung im eindrucksvollen Jenaer „Volkshaus“ war gekennzeichnet von fruchtbaren, offenen und interessanten Tischgesprächen unter MediatorInnen. Das angenehme Gesprächsklima stand stellvertretend für die vorherrschende Atmosphäre während des Mediationstages: offen, freundlich, aufgeschlossen, kommunikativ.
Am zweiten Tag fanden gleichzeitig fünf verschiedene Foren statt, die zunächst kurz im Plenum vorgestellt wurden. Ich selbst nahm am Forum „Zur Haltung und Praxis der gewaltfreien Kommunikation“, moderiert von Alexandra Boos und Markus Fischer, teil.
Boos und Fischer, beide Schüler von Marshall Rosenberg, berichteten zunächst von ihren eigenen Zugängen zur „GFK“. Boos war als Lehrerin Opfer von Mobbing. Fischer war als Mediant in 4 verschiedenen Mediationen; er sei mit dem Verlauf aller Mediationen höchst unzufrieden gewesen. Beide vertraten die Überzeugung, dass die wertschätzende Haltung von MediatorInnen wesentlich zum Erfolg des Verfahrens beitrüge. Die Methodik sei von untergeordneter Bedeutung. „80 % Haltung, 20 % Methode“ brachte Fischer es auf den Punkt. Er verwies auf Lawrence Kohlbergs Modell zur „Stufentheorie der Moralentwicklung“. Danach durchlaufe der Mensch verschiedene moralische Entwicklungsstufen, die auch mit dem Alter und der Bildung der Betroffenen korrelieren. MediatorInnen sollten danach trachten, die „postkonventionelle Stufe“ erreichen. Viel entscheidender als die Verbesserung der Methodik (Translation) sei die Entwicklung der Haltung durch transformative Methoden. Dazu zählte er reflexive Methoden, die lehren, „sich mit Abstand zu betrachten“. Boos stellte das Reflexionsmodell vor. Danach sei bewusst zu unterscheiden zwischen Beobachtung und Bewertung, zwischen Fühlen und Denken, zwischen Bedürfnis und Wunsch, zwischen Bitte und Forderung. Nach Rosenberg ließen sich alle Äußerungen eines Menschen auf ein „Bitte“ („Bitte, erfülle meine Bedürfnisse“) oder ein „Danke“ („Danke, meine Bedürfnisse sind erfüllt“) reduzieren. MediatorInnen sollten die Situation der Medianten unter Zuhilfenahme des Reflexionsmodells einstufen und analysieren. Dies sei auch in Wirtschaftskonflikten sinnvoll und hilfreich. Dabei müssten die Einzelheiten nicht ausdrücklich benannt werden. MediatorInnen sollten die Unterschiede jedoch erfragen, erkennen und aufzeigen.
Mein persönliches Fazit:
Eine höchstspannende Veranstaltung, die mir viele neue Impulse für die Mediationspraxis gegeben hat. Dies war mein erster Mediationstag in Jena, aber ganz gewiss nicht mein letzter!
Michael Eichhorn
erstellt am: 26.05.2015 von Jessica Fritsch